Können Mädchen Pfadfinder*innen sein?

Bereits 1907 stellte Baden-Powell in seiner Zeitschrift The Scout selbst die Frage, ob Mädchen Pfadfinder*innen sein können:

“Ich glaube, dass Mädchen bei den Pfadfindern genauso viel gesunden Spaß haben können wir Jungen … und sich nach kurzer Zeit als gute Pfadfinder erweisen können.”

Jeal 2007, S. 549

Immerhin hatte er seine Männer im Militär stets dazu gedrängt “weibliche” Fähigkeiten wie Kochen und Nähen zu erlernen. Wieso sollte es also nicht vernünftig sein, dass die Mädchen ebenfalls Fertigkeiten lernten, die sie unabhängig von Dienern machen würden? In seiner Idee von weiblichen Pfadfinderinnen hatten die Mädchen die gleichen Abzeichen und Prüfungen, die die Jungen auch ablegten: Pirsch, Fahrradfahren, Telegrafie und viele weitere. Neu war allerdings der Schwerpunkt der Krankenpflege. Seine Mutter Henrietta Grace hatte da anscheinend einen gewissen Einfluss auf ihren Sohn, als sie 1909 seinen Entwurf für Scouting for Girls las und ihm zurückmeldete, dass dieses zu hart für Mädchen sei. Im Herbst desselben Jahres nannte er die weiblichen Pfadfinder in einer Ausgabe von The Headquarter’s Gazette dann zum ersten Mal “Girl Guides” und wurde durch die (widerwillige) Akzeptanz der bereits eingetragenen ca. 6.000 Mädchen in der Namenswahl bestätigt.1vgl. Jeal 2007, S. 550 f.


Agnes Baden-Powell als Präsidentin der Girl Guides

Baden-Powells Schwester Agnes wurde von ihrem Bruder gebeten ein Komitee für die Girl Guides zusammenzustellen. Damit war die Gründung der Girl Guide Association 1910 offiziell.2vgl. Website der WAGGGS Agnes war 52 Jahre alt, als sie die Präsidentin der Girl Guides wurde, und wählte im Gegensatz zu ihrem Bruder einen anderen Ansatz – der für die Außenwirkung durchaus sinnvoll war, waren doch die Vorbehalte gegenüber der “Verrohung der jungen Damen” durch das Programm in der Gesellschaft groß.3vgl. Jeal 2007, S. 550 Behaltet im Kopf, dass zu der Zeit die Suffragetten-Bewegung höchst aktiv war und die Frauen u.a. für das (bisher noch nicht vorhandene) Frauenwahlrecht eintrat.

1910 schrieb Agnes das Handook for the Girl Guides, welches sie zum Teil wortwörtlich aus Scouting for Boys übernommen hatte. Sie ergänzte noch Kapitel über Krankenpflege, Kinderbetreuung und Haushaltsführung, was sich auch in den Treffen der Girl Guides niederschlug. Hier verbanden sich die Mädchen gegenseitig oder kümmerten sich stundenlang um Puppen, in Vorbereitung auf ihr späteres Leben als Hausfrauen.4vgl. Jeal 2007, S. 552

Kurze Röcke […] seien zwar geeignet, um über Gatter zu springen, aber “heftige Rucke und Stöße” könnten “die innere Ökonomie der Frau” auf verhängnisvolle Art schädigen. Ein Mädchen, das an “groben Spielen und Belastungen” teilnehme, werde alsbald “rohe und abgenutzte Hände haben.”

Jeal 2007, S. 551

Übernahme der Girl Guides durch Olave Baden-Powell

Bis Ende der 1920er Jahre hatten die Girl Guides eine halbe Millionen Mitglieder. 1914 bat Olave Baden-Powell zum ersten Mal ihre Dienste im Komitee der Girl Guides an, da sie und ihr Mann überzeugt waren, die Girl Guides nicht länger unter Agnes Kontrolle nach den Vorstellungen von BiPi gedeihen würden. Erst nach einigen Schwierigkeiten, einer Restrukturierung (inkl. einer Satzung, die die Girl Guides den Boy Scouts gleichstellte) und dem Abdanken einer sehr widerspenstigen Mrs. Lumley Holland, der Vorsitzenden des Komitees, konnte Olave im Komitee aktiv werden. Agnes jedoch weigerte sich weiterhin ihren Posten als Präsidentin aufzugeben. Zwischen den beiden Frauen entfachte sich ein Machtkampf,5vgl. Jeal 2007, S. 553 der unter dem Gesichtspunkt der damaligen Sozialisation, jede Frau als Feindin wahrzunehmen (die übrigens heute immer noch sehr häufig internalisiert ist), nachvollziehbar ist.

Im Februar 1918 wurde Olave zur Vorsitzenden der Girl Guides (Chief Guide) gewählt, nachdem sie zuvor bereits erfolgreich in der Grafschaft Sussex als (Chief) County Comissioner eine effektive Veraltung etabliert hatte.6vgl. Jeal 2007, S. 557 Erst 1920 verlor Agnes dann im Komitee eine Wahl, akzeptierte dann den Titel der Ehren-Vizepräsidentin und machte damit den Platz für Olave frei. BiPi unterstützte der seine Frau Olave bei jedem ihrer Schritte, z.B. als er die oben genannte Mrs. Lumley Holland bereits 1914 persönlich aufforderte zurückzutreten, was diese damals ablehnte.7vgl. Jeal 2007, S. 555

Im Laufe der folgenden, umwälzenden Jahre fielen viele Damen, die für die Bewegung arbeiteten und aktiv waren, dem “Aufräumen” von Olave zum Opfer. Viele waren früher mit Agnes befreundet oder zumindest in ihrem Komitee gewesen oder waren der unsicheren Frau schlicht nicht schmeichelhaft genug.8vgl. Jeal 2007, S. 557 f.


Weitere Entwicklungen und das World Bureau

Olave war überzeugt, dass es den Girl Guides gut tun würde, wenn sich der Bewegung einige berühmte Frauen anschlossen. So umwarbt sie verschiedene Frauen, u.a. Katharine Furse, die den Woman’s Royal Naval Service gegründet hatte. Katherine ist insofern wichtig für die Pfadfinderinnen-Bewegung, als dass sie eben nicht blind ihrer Freundin Olave folgte, und zunächst auch gar nicht wusste, ob sie mit den Girl Guides etwas anfangen konnte.9vgl. Jeal 2007, S. 561
1919 erzählte sie Olave, sie wollte den Guides beitreten, sofern sie die Leitung über die Ausbildung der Girl Guides Leiterinnen übernehmen dürfe. Dieser Posten war jedoch bereits von Alice Behrens besetzt, die in Foxlease in Hampshire die Ausbildung der Leiterinnen in einer begeisterten Athmosphäre durchführte.10vgl. Jeal 2007, S. 563
Dennoch konnte sich Katharine im Frühlig 1922 endlich durchringen mit Olave zusammenzuarbeiten und bekam den Posten als stellvertretende Chief Comissioner zugesprochen.11vgl. Jeal 2007, S. 561 Sie sollte sogar zum Chief Comissioner gemacht werden, sobald sie sich ausreichend in die Bewegung eingearbeitet hatte. Ihr Interesse lag weiterhin bei der Ausbildung der Girl Guides Führerinnen, mit der sie unter der Führung von Alice Behrens nicht zufrieden war. Alice war eine ihrer schärfsten Konkurrentinnen im Hinblick auf die Gunst von Olave. Sie schreib Olave oftmals mit konkreter Kritik an Alice und merkte dennoch schnell, wie wenig sich Olave beeinflussen ließ – sie bekam eher Olaves Erwartungshaltung zu spüren, dass diese wollte, dass man ihr blind folgte.12vgl. Jeal 2007, S. 562 f.

Die Bewegung war eindeutig “eine Autokratie, die sich den Anschein einer Demokratie gibt, um der öffentlichen Meinung zu genügen.” […] “Wenn ich mich darauf einlasse, weiterhin als stellvertretende Chief Commissioner zu arbeiten, muss ich meine eigenen Ansichten beiseite legen und blindlings folgen. Ich muss für etwas stehen, das ich nicht beeinflussen kann und bezüglich dessen meine Meinung nicht erwünscht ist.”

Jeal 2007, S. 565

Olave wollte nun grundlegend neu Strukturieren, Alice Behrens zur Chief Commissioner machen und Katharines Posten streichen. Katharine ließ sich das nicht gefallen und drohte Olave damit, an die Öffentlichkeit zu gehen: “Du musst tun, was Du für das Beste für die Bewegung hältst, und es so gut erklären wie Du kannst – aber wenn ich gefragt werde, warum ich abgesetzt wurde, muss ich den Leuten erzählen, was ich weiß, und das wird nicht leicht.” Alice wurde daraufhin nicht Chief Commissioner.13vgl. Jeal 2007, S. 566

Im Anschluss daran knüpfe Katharine Kontakte zu Guides in anderen Ländern und auf anderen Kontinenten, trat dem internationalen Kommitee im Hauptquartier der Girl Guides bei und verlangte eine unabhängige Internationale Instanz für die Guides. Wenn sie die britischen Guides nicht reformieren konnte, wollte sie das auf internationaler Ebene tun. Sie gründete ein gesondertes Girl Guide World Bureau und leitete dieses als Vorsitzende des World Council of Girl Guides und Direktorin des World Bureau.14vgl. Jeal 2007, S. 566 Nach der Historie der WAGGGS (World Association of Girl Guides and Girl Scouts) wurde diese 1928 gegründet.15vgl. https://www.wagggs.org/en/about-us/our-history/, aufgerufen am 29.12.2023 Inwieweit bei diesen beiden Institutionen dieselbe gemeint ist, kann ich aus jetziger Sicht leider nicht nachvollziehen – ich vermute es aber stark.

Die Baden-Powells versuchten die Macht des Councils einzuschränken (sie waren nicht begeistert von der Entwicklung und der “Überorganisation”), während Katharine gleichzeitig versuchte Olave zu überreden sich für die Guides außerhalb vom britischen Empire zu interessieren, indem sie sie zur World Chief Girl Guide wählten. Der Fokus von Katharine scheint allerdings recht kurzsichtig gesetzt zu sein, denn in Großbritannien gab es mit Abstand die meisten Girl Guides (ca. eine halbe Millionen), das restliche britische Empire steuerte 250.000 weitere Guides bei. Im Rest der Welt gab es in vierzig Ländern Girl Guides, allerdings auch 22 Ländern mit jeweils weniger als 1.000 Mitgliedern. Ob das nun an fehlender Werbung im Ausland oder dem Imperialen Auftreten der Guides lag, wie Katharine behauptete, ist nicht mehr nachvollziehbar.16vgl. Jeal 2007, S. 567


Um euch darüber zu Informieren, wie die Girl Guides und die WAGGGS heute als Schwesternorganisation zum männlichen Pendant (die WOSM – World Organisation of Scout Movement) agieren, könnt ihr gerne auf deren Website stöbern.

In Deutschland ist der große weibliche Pfadfinderinnenverband innerhalb des deutschen Dachverbandes rdp (Ring deutscher Pfadfinder*innenverbände) die PSG (Pfadfinderinnen St. Georg).


Though you cannot visit sister Guides in France or Finland, in Austria or Australia, in Italy or Iceland, Canada or Chile, Ghana or Guatemala, USA, or U.A.R., you can reach out to them there in your MIND. And in this unseen, spiritual way you can give them your uplifting sympathy and friendship. Thus do we Guides, of all kinds and of all ages and of all nations, go with the highest and the best towards the spreading of true peace and goodwill on earth

Zitat von Olave Baden-Powell aus ihrer Biografie 17Zitat aus: Window on my heart (1983), Lady Baden-Powell and Mary Drewery, p. 182 – nach: https://www.wagggs.org/ar/what-we-do/world-thinking-day/history/ (abgerufen 16.2.2024)

Fußnoten

  • 1
    vgl. Jeal 2007, S. 550 f.
  • 2
  • 3
    vgl. Jeal 2007, S. 550
  • 4
    vgl. Jeal 2007, S. 552
  • 5
    vgl. Jeal 2007, S. 553
  • 6
    vgl. Jeal 2007, S. 557
  • 7
    vgl. Jeal 2007, S. 555
  • 8
    vgl. Jeal 2007, S. 557 f.
  • 9
    vgl. Jeal 2007, S. 561
  • 10
    vgl. Jeal 2007, S. 563
  • 11
    vgl. Jeal 2007, S. 561
  • 12
    vgl. Jeal 2007, S. 562 f.
  • 13
    vgl. Jeal 2007, S. 566
  • 14
    vgl. Jeal 2007, S. 566
  • 15
    vgl. https://www.wagggs.org/en/about-us/our-history/, aufgerufen am 29.12.2023
  • 16
    vgl. Jeal 2007, S. 567
  • 17
    Zitat aus: Window on my heart (1983), Lady Baden-Powell and Mary Drewery, p. 182 – nach: https://www.wagggs.org/ar/what-we-do/world-thinking-day/history/ (abgerufen 16.2.2024)
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Von lena

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