Die Vorfahren

“Der Wolf, der nie schläft” beginnt mit einer langen Liste an männlichen Vorfahren von BiPi – die alle Abenteurer, Künstler oder herausragende Wissenschaftler waren (u.a. auch John Smyth von Willoughby, den wir als John Smith in Verbindung mit Pocahontas kennen). Einen kurzen Satz bekommt auch seine Mutter Henrietta Grace.
Das scheint aus der damaligen Perspektive logisch, war es doch – obwohl zu BiPis Kindheit mit Queen Victoria eine Frau auf dem Thron saß – eine männlich dominierte Gesellschaft. (Zu seinen Vorfahren näheres im Beitrag zu seiner Mutter – es gibt für diese Abstammung keinen Beweis.)
Folgt man den Darstellungen Tim Jeals im ersten Kapitel “Eine wunderbare Frau”, dann war es wohl mehr der Ansporn durch die Mutter, ihre Erziehung und die Netzwerke die sie pflegte, als irgendwelche geerbten Eigenschaften die BiPi und seinen Brüdern die Richtung wiesen1vgl. Jeal 2007, S. 23-72.

Das ganze Geheimnis meines Erfolgs liegt bei meiner Mutter.

Robert Baden-Powell 1933, zitiert nach Jeal 2007, S. 23

22. Februar 1857

Am 22.2.1857 kam Robert Stephenson Smyth Powell als vierter Sohn von Henriette Grace Powell und dem Pfarrer und Mathematikprofessor Baden Powell zur Welt. Sein Vater hatte aus einer früheren Ehe schon vier Söhne, später sollten noch zwei weitere Kinder folgen.

Das Geburtsdatum kennen die meisten Pfadfinder*innen heute als Thinking-/ Founders Day.

Über Familienmitglieder BiPis haben wir hier auch eine Übersicht für euch erstellt.


Kindheit und das Verhältnis zur Mutter

Die ersten Jahre wurde er Ste gerufen. Sein Vater Baden Powell verstarb als er drei Jahre alt war, ab diesem Zeitpunkt wurde sein Großvater Admiral William Shmyth eine wichtige Bezugsperson für ihn. Dies könnte aber durchaus auch daran gelegen haben, dass Ste zu dem Zeitpunkt des Todes seines Vaters (1860) für zwei Monate zu den Großeltern geschickt wurde, ebenso im Jahr darauf für mehrere Monate. Henrietta Grace hatte zu diesem Zeitpunkt den jüngsten Bruder Baden, der zum Tod des Vaters gerade 3 Wochen alt war, zu versorgen. Sie ging zu ihren Cousinen nach Kent und ließ ihre anderen Kinder bei den Großeltern.
Ste litt 1860 und 1861 unter Weinkrämpfen und Wutanfällen, welche von seiner Mutter als “nicht gut” beurteilt wurden. Hinzu kam der Tod seines Lieblingsbruders Augustus, der am 3. April 1863 mit 13 Jahren an Tuberkulose starb. BiPi durfte ihn nicht nochmals besuchen.

Die wichtigste Lektion, die Stephe in den Monaten nach dem Tod seines Lieblingsbruders lernte, war, dass seine Mutter in dieser grausamen unsicheren Welt das Wichtigste war, und dass sie trotzdem jeden Moment weggehen und fort sein konnte.

Tim Jeal: Baden-Powell, S. 40

Wir sehen hier also eine durchaus willensstarke, aber ebenso manipulative Mutter, die ihre Kinder fest im Griff hatte. Die Unsicherheit bezüglich ihrer Liebe und Zuneigung begleitete BiPi sein gesamtes Leben. In ihren Briefen sprach sie mehrfach von einem “Training” der Kinder und zeichnet das Bild einer aufopferungsvollen Mutter, die von undankbaren Kindern geplagt versucht, das Familienleben und die Zukunft der Kinder in gute Bahnen zu lenken2vgl. Jeal 2007, S. 40. BiPi versuchte vermutlich Zeit seines Lebens seine Mutter zufrieden zu stellen und sich damit ihre Liebe zu versichern – denn vom Status eines “Lieblingssohns” war er doch weit entfernt.


Die Wildnis der Großstadt

BiPis Großvater nahm den Jungen mit in den Hydepark, um ihm die Natur näher zu bringen. Der Park wurde damals auch noch als Weidegebiet für Kühe und Schafe genutzt.
In der Beschreibung Walter Hansens stellte er dort bereits mit 6 Jahren fest, dass beispielsweise Frösche das Wetter vorhersagen (bei Schönwetter quaken sie abends, bei Schlechtwetter tagsüber). Ebenso zeichnete er wohl genaue Landkarten des Parks3vgl. Hansen 2018, S. 20. Das große Zeichentalent wird von Tim Jeal (und den Bildern, die von ihm noch zu sehen sind) bestätigt.

Die nächsten Seiten bei Hansen lesen sich so, als hätte BiPis Freund Rudyard Kipling die Geschichte des Siddharta Gautama ins viktorianische London verlegt.

Hansen erzählt uns in eindrucksvollen Bildern von Streifzügen Stes in die Armenviertel von London.
Diese hätten ihn stark beeindruckt und früh seinen Gerechtigkeitssinn geweckt.
Ste schrieb dann auch sein oft zitiertes “Gesetz für mich, wenn ich groß bin”, laut Hansen mit ungefähr acht Jahren4vgl. Hansen 2018, S. 25 f.

claude-monet-hyde-park-london-c-1871
Claude Monet: Hyde-Park London 18715Public Domain, Quelle: https://jenikirbyhistory.getarchive.net/media/claude-monet-hyde-park-london-c-1871-f37132 – abgerufen 21.2.2024

GESETZ FÜR MICH, WENN ICH GROß BIN
Ich werde dafür sorgen, dass die armen Leute so reich sind wie wir, und sie sollen das Recht haben, so glücklich zu sein wie wir, und alle, die über die Kreuzung gehen, sollen dem armen Straßenfeger an der Kreuzung etwas Geld geben, und Ihr solltet Gott für das danken, was er uns gegeben hat, und er machte die Armen arm und die Reichen reich, und ich kann Euch sagen, wie ihr gut sein könnt. Jetzt sage ich es Euch. Ihr müsst zu Gott beten, wann immer Ihr könnt, aber Ihr könnt nicht gut sein durchs Beten. Ihr müsst Euch anstrengen, gut zu sein.

Baden-Powell 26.2.1865, zitiert nach: Jeal 2018, S. 39 f.

Tim Jeal sieht in dem zitierte Gesetz mehr den Einfluss der Mutter, die zu diesem Zeitpunkt Kontakt mit Christlichen Sozialisten hatte.6vgl. Jeal 2007, S. 39.


Zum ersten Mal Pfadfinder

In den nächsten Jahren hatte Ste öfter die Gelegenheit in der Natur herum zu streichen.
Als er neun Jahre alt war, wurde er einer Familientradition folgend, in die Grafschaft Kent zu einem Verwandten geschickt um dort lesen, schreiben und rechnen zu lernen. Nach der Schule durchstreifte er dann, alleine oder mit Freunden, die Wälder rund um das Dorf.
Das er dort “spürte, […]inmitten der Natur, Gedanken zuflogen, die er in der Großstadt nie gehabt hatte, wie seine Beobachtungsgabe weit mehr geschärft wurde, als es in London möglich gewesen wäre”7vgl. Hansen 2018, S. 28, passt natürlich im nachhinein gut als Begründung für die pfadfinderische Pädagogik, ob es ihm aber wirklich mit neun schon so bewusst war?

Einige Zeit später konnte der junge Baden-Powell dann zusammen mit seinen Brüdern das erste mal eine Reise antreten, die wir heute wohl als Hike bezeichnen würden…

Den Artikel zum ersten Hike findet ihr hier oder interessiert ihr euch mehr für BiPis schulische Laufbahn


Fußnoten

  • 1
    vgl. Jeal 2007, S. 23-72
  • 2
    vgl. Jeal 2007, S. 40
  • 3
    vgl. Hansen 2018, S. 20
  • 4
    vgl. Hansen 2018, S. 25 f.
  • 5
    Public Domain, Quelle: https://jenikirbyhistory.getarchive.net/media/claude-monet-hyde-park-london-c-1871-f37132 – abgerufen 21.2.2024
  • 6
    vgl. Jeal 2007, S. 39
  • 7
    vgl. Hansen 2018, S. 28
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Von lena

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