Bild der Eltern von BiPi, ca. 1857
Parents of Robert Baden-Powell

Wir haben in verschiedenen Beiträgen bereits Einblick gegeben in das Familienleben der Baden-Powells. Dreh- und Angelpunkt ist eindeutig Henrietta Grace, die die Fäden der Leben ihrer Kinder in fester Hand hält. Tim Jeal hat ihr sogar ein eigenes Kapitel gewidmet, während ihr in Hansens „Der Wolf, der nie schläft“ nur ein paar Worte zukommen. BiPi scheint sich auch Zeit seines Lebens nicht von ihrem Schatten lösen zu können, der im Hintergrund seines Lebens fortwährend präsent ist.

Unter dem Aspekt, dass Frauen gerne unsichtbar gemacht werden im Verlaufe der Weltgeschichte, freuen wir uns natürlich darüber, dass hier eine starke, unabhängige Frau sichtbar ist und BiPi ihr die Lorbeeren zuspricht, die sie zu verdienen scheint. Dennoch fragen wir uns natürlich, wer diese unglaublich ehrgeizige Frau gewesen ist und wie es sein kann, dass Baden-Powell sich zeitlebens nicht davon lösen konnte, sie zufrieden zu stellen.

Dankenswerterweise hat Henrietta Grace Tagebuch geschrieben, zusätzlich sind Zitate und Briefe BiPis erhalten, die auf die Beziehung der beiden und auf Henriettas Charakter Rückschlüsse zulassen.


Henrietta Grace, geboren am 3. September 1824, wird von Tim Jeal als eine Person beschrieben, die zeitlebens das Ziel hatte ihr soziales Ansehen zu steigern. Wenn man das Buch liest, bekommt man das Gefühl, dass alles, was sie tat, auf dieses Ziel ausgerichtet war. Woher dieses Bedürfnis rührte?
Vermutlich geht dies zurück auf die Tatsache, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass die Familie tatsächlich vom berühmten John Smith abstammt, wie ihr Vater behauptete. Henrietta schlug zusätzlich noch in die gleiche Kerbe, als sie für eine Änderung des Familienwappens und des Familiennamens sorgte.

Wäre ihr familiärer Hintergrund lediglich auf herkömmliche Weise respektabel gewesen, wäre sie wohl dazu verleitet worden, ihr eigenes kreatives Geschäft zu betreiben: die Verwandlung einer Katastrophen-Familie in eine Erfolgs-Gesellschaft, in welcher sie die Posten des Schatzmeisters, Chefplaners und obersten Schiedsmanns übernahm.

Jeal 2007, S. 28

Familienleben

Mit 15 Jahren lernte sie ihren späteren Ehemann Professor (in Oxford) / Reverend Baden Powell kennen, 6 Jahre später sah sie ihn, inzwischen verwitwet, wieder. Im folgenden Jahr heirateten die beiden. Powell brachte vier Kinder mit in die Ehe, von denen zwei nach dem Tod der Mutter von ihrer Tante adoptiert wurden. Die siebenjährige Tochter Carrie wurde auch kurz danach zur Tante geschickt. Lediglich der vierjährige Baden Henry blieb die meiste Zeit in der Familie, wenngleich Henrietta ihn als schlechten Einfluss auf die eigenen Kinder beschrieb. 1vgl. Jeal 2007, S. 29 f.

Ab 1847 bekamen die Powells ihre Kinder, während sich der Professor sich in Oxford durch seine kritischen Texte und Vorträge zur wissenschaftsleugnender Haltung der Kirche immer mehr in die Isolation trieb. Entsprechend war es ein logischer Schritt, dass die Familie 1853 nach London zog.2vgl. Jeal 2007, S. 31

Umzug in die Stanhope Street, Quelle: openstreetmap

Nach dem Tod dreier Kinder kam 1857 der kleine „Stephe“ zur Welt. Entsprechend lagen zwischen ihm und dem älteren Bruder Frank 7 Jahre. Relativ schnell im Anschluss wurden auch Agnes und Baden geboren, sodass BiPi nicht sonderlich lang die Privilegien des Jüngsten genießen konnte. Laut seiner Mutter besaß er „keine besondere Veranlagung für Unfug oder Abenteuer“ 3vgl. Jeal 2007, S. 32 , dennoch scheint ihn diese fehlende Veranlagung nicht abgehalten zu haben sich in seinem späteren Leben ins Abenteuer Militär zu stürzen und mit Hingabe Theater zu spielen.

Als Professor Powell am 11. Juni 1860 starb (Stephe wurde zusammen mit Agnes zuvor aufs Land zu Henriettas Eltern geschickt und sah ihn nicht wieder), übernahm Henrietta final die Zügel der Familie und stürzte sich mit Feuereifer zurück auf ihr ursprüngliches Ziel, dem gesellschaftlichen Aufstieg. Doch zuerst musste sie ihren Schicksalsschlag des Verlustes ihres geliebten Ehemannes verkraften, sich zusätzlich um den Stall voller Kinder kümmern (Baden war Wochen nach dem Tod des Vaters zur Welt gekommen) und die finanzielle Situation der Familie regeln.

Diese ganze Welt ist jetzt eine nicht enden wollende Belastung“, schrieb Henrietta Grace im März [1863, Anm. d. Redaktion].

Jeal 2007, S. 38

Soziales Ansehen

Die Basis um zum oberen Ende der sozialen Hierarchie zu gehören, war Geld. Nach dem Tod des Professors hatte Henrietta ein jährliches Einkommen von £ 700-800, was dem Einkommen eines jungen Anwalts oder Arzt zu dieser Zeit entsprach.
Sie investierte das Kapital, das sie hatte, in einen Umzug in das imposante Kensington Garden, sowie viele Abendgesellschaften, um hierbei zusätzliche Kontakte zu knüpfen, die ihre Kinder voran bringen sollten. Für die Einrichtung des Hauses lieh sie sich zusätzliches Geld. Networking, wie wir es heute nennen würden, war für das vorankommen damals unabdingbar, um beispielsweise an bestimmte Jobs zu kommen oder um vorteilhaft zu heiraten. Zweiteres schloss Henrietta aus, da sie wusste, dass die Einkommen ihrer Söhne ihre Partys und das Leben der jüngeren finanzieren musste – wenn sie heirateten wären diese Mittel für sie verloren.
Im Grunde entwickelte Henrietta ein System der Gemeinschaftskasse, in die alle Familienmitglieder einzahlen sollten. Jedoch war der einzige, der wirklich etwas dazu beitrug Warington, während die anderen Geschwister auf größerem Fuß lebten als sie selbst einnahmen: Stephe und Baden verursachten als Mitglieder exklusiver Regimenter mehr Kosten, als sie mit ihrem Sold decken konnten, George wurde Politiker und bekam zunächst kein Gehalt, Frank war zwar Anwalt, lebte aber als Künstler.4vgl. Jeal 2007, S. 41 ff.


Name und Wappen

1969 beschoss Henrietta Grace zusätzlich den Familiennamen aufzubessern, um damit auch ihre gesellschaftliche Stellung hinsichtlich aristokratischer Verbindungen zu stärken. So wurde aus dem Familiennamen „Powell“ der Name „Baden-Powell“, der v.a. aufgrund der Tatsache, dass er deutsch klingt und sich von den vielen anderen Powells abgrenzt, besticht. Sogar das Wappen ließ Henrietta Grace ändern, sodass Elemente das Herzogs von Baden eingearbeitet wurden.5vgl. Jeal 2007, S. 45 f.

Für Henrietta Grace mussten Freundschaften nützlich sein, sonst waren sie wertlos. „Ich bin entschlossen“, verkündete sie, „keine neuen Freundschaften mehr zu schließen, außer mit wirklich ganz ausgewählten Personen“

vgl. Jeal 2007, S. 48

Ihr Streben nach gesellschaftlichen Erfolg führte dazu, dass die Familie das Haus zum Teil über Monate vermietete, um all das zahlen zu können, was Henrietta Grace veranstaltete, um gesellschaftliches Ansehen zu erringen. BiPi lernte in dieser Zeit vor allem, dass es entscheidend war in der jeweiligen Situation die richtige Rolle zu spielen, da der äußere Schein das wichtigste ist. Als begnadeter Schauspieler wurde er hierin meisterhaft.6vgl. Jeal 2007, S. 49


Henrietta Grace hatte in jedem Fall einen nachhaltigen Einfluss auf das Leben all ihrer Kinder. Das stete bestreben von BiPi sie zufrieden zu stellen lässt sich in vielen seiner späteren Schritte erahnen. Henrietta Graces bestreben nach Ansehen mündete in einem sich selbst im Weg stehenden System finanzieller Schwierigkeiten und belasteten Beziehung zu den Kindern.

1900, als der Sieg von Mafeking in London gefeiert wurde, war Henrietta Grace als Mutter des Nationalhelden Teil der bejubelten – BiPi war noch in Südafrika und stellvertretend wurde vor dem Haus in Kensington sie bejubelt.
Gleichzeitig war 1900 nur eines ihrer sechs Kinder verheiratet. Drei lebten ständig, die zwei Soldatensöhne während ihres Urlaubes, bei ihr.

(…) in einem Brief an ihren Lieblingssohn George schrieb sie, diese Lehrerin habe vor allem „wissen wollen, mit welchen Methoden ich es geschafft habe, dass Ihr alle so gut seid und mir gegenüber so wunderbar ergeben; sie sagt, sie sei vor allem davon beeindruckt, wie Ihr davon beseelt seid, nach meinem Willen zu handeln.“

vgl. Jeal 2007, S. 24

Fußnoten

  • 1
    vgl. Jeal 2007, S. 29 f.
  • 2
    vgl. Jeal 2007, S. 31
  • 3
    vgl. Jeal 2007, S. 32
  • 4
    vgl. Jeal 2007, S. 41 ff.
  • 5
    vgl. Jeal 2007, S. 45 f.
  • 6
    vgl. Jeal 2007, S. 49
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Von lena

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