Nachdem BiPi durch Mafeking zur Berühmtheit geworden war und Jungs angefangen hatten sein „Aids to Scoutmastership“ als Grundlage für ihre Spiele zu nutzen, stand die Idee es für Kinder und Jugendliche umzuarbeiten lange im Raum. Allerdings fand BiPi die Zeit hierfür erst später, da er ja noch im Militärdienst stand.
Beflügelt vom Erfolg des Lagers auf Brownsea Island, von dem „die ersten Jungpfadfinder, die das Pfadfinderversprechen abgelegt hatte, braungebrannt, aufgeladen mit Selbstbewusstsein, frei von Standesdünkeln“1Hansen 2018, S 188 heimgekehrt waren, machte Baden-Powell sich ans Werk.

Die Artikel, die wir heute als „Lagerfeuergeschichten“ kennen, erschienen zuerst in der Zeitschrift „The Scout“. Diese war von Arthur Pearson gegründet worden, der als Geschäftsmann nicht nur den Vorteil für die Nation und die Jugend, sondern auch für seinen Geldbeutel sah.2Jeal 2007, S. 453

Pearson erkannte wohl das Potential der Idee und schloss so mit BiPi einen, für (s)eine Seite sehr guten Deal: er würde die einzelnen Lagerfeuergeschichten in seiner Zeitschrift „The Scout“ veröffentlichen und danach den Vertrieb der Bücher übernehmen. BiPi würde hierfür das Recht bekommen sich in der Zeitschrift direkt an die Pfadfinder zu wenden und zusätzlich bis zu 1000 Pfund für die Druckkosten.
Für Pearson war dieser Deal sehr gut: er konnte Baden-Powell als Zugpferd nutzen, die Zeitschrift würde das Buch, das Buch die Zeitschrift und er, mit seinen beiden landesweit erscheinenden Zeitungen, die gesamte Idee bewerben.3Jeal 2007, S. 453 Zum Glück für BiPi konnte er sich später aus dem Vertrag lösen. (Wobei er Zeit seines Lebens alles Geld aus den Autorenhonoraren in die Bewegung stecken sollte.)


„Ein Buch wie kein anderes“4Jeal 2007, S. 457

Baden-Powell reiste zwischen November 1907 und Februar 1908 quer durch das Land um über „seine neue Organisation“ zu berichten und für sie zu werben. Die ersten beiden Teile von „Scouting for Boys“ hatte er im Dezember fertig, den Rest schrieb er auf der Reise.

Am 15. Januar 1908 lag der erste Teil dann in den Läden. Als Buch, in der Form wie wir es heute kennen, erschien es am 1. Mai 1908 – gebunden kostete es zwei Schilling, broschiert einen.
Genaue Verkaufszahlen für die ersten Jahre gibt es nicht. Nachdem es aber im ersten Jahr viermal nachgedruckt wurde und die neue Auflage nicht einmal ein Jahr später bei 60.000 lag, kann man wohl davon ausgehen, dass es mindestens so oft über die Ladentische ging. In den nächsten Jahren schwankte die Auflage, aber noch 1948 wurden in Großbritannien mehr als 50.000(!) verkauft. Erst 1967 gab der Verlag zu, dass „der Absatz des Buches möglicherweise zurückgeht“5Jeal 2007, S. 463

Die Aufteilung in die zehn Kapitel und 28 „Geschichten am Lagerfeuer“ gehen wohl auf Arthur Pearson zurück, der erkannt hatte, dass er „das durch die allgemeine Schulpflicht nur mäßig gebildete Publikum“6Jeal 2007, S. 457 dadurch ansprechen musste, dass das Buch leicht verständlich ist.
Durch die Form der Erzählung, in der sich durch den Schreibstil BiPis „eine raffinierte Mischung aus Unterhaltung, moralischer Ermahnung, praktischen Ratschlägen und Realitätsflucht“7Jeal 2007, S. 458 ergeben, kann der Lesende an einer beliebigen Stelle einsteigen oder Kapitel überspringen.
So können die einzelnen Kapitel auch tatsächlich in der Gruppenstunde oder am Lagerfeuer gelesen werden.


Deutsche Übertragungen

Eine Deutsche Ausgabe erschien 1909 unter dem Titel „Das Pfadfinderbuch„. Alexander Lion und Maximilian Bayer übertrugen aber nicht einfach nur „Scouting for Boys“ in das Deutsche, sondern veränderten es in wesentlichen Punkten.
Eine alternative, quellennahe Übertragung wurde 1911 von Karl Hellwig mit seinem „Kleinen Späherbuch“ präsentiert. Dieses Werk blieb aber weitgehend unbeachtet, da sich die meisten deutschen Pfadfinderleiter bereits für die Lion’sche Übertragung als ihre Arbeitsgrundlage entschieden hatten.

In neueren deutschsprachigen Ausgaben, unabhängig vom Übersetzer, trägt das Buch meist den Titel „Pfadfinder“. Diese Ausgaben orientieren sich in der Regel an der erstmals 1923 in Zürich erschienenen Ausgabe des Schweizerischen Pfadfinderbunds.


Weltweit

Das Buch wurde in den folgenden Jahren rund um den Globus gelesen, überarbeitet, neu gedruckt.
Es wurde in alle „Kultursprachen übersetzt, zum bedeutendsten pädagogischen Werk […]. Die heutigen Auflagenzahlen sind nicht mehr feststellbar. Jedenfalls gehen sie weit in die Millionen.“8Hansen 2018, S. 189 schreibt Walter Hansen in „der Wolf, der nie schläft“ und tatsächlich dürfte er hiermit dieses mal fast recht haben. Zumindest was die ersten Jahrzehnte nach Veröffentlichung betrifft.
Laut manchen Quellen ist „Scouting for Boys“, mit seinen schätzungsweise 4 Millionen verkauften Kopien der UK-Fassung und zwischen 100 und 150 Millionen Exemplaren in mind. 87 anderen Sprachen, das viertmeistverkaufte Buch des 20. Jahrhunderts direkt nach der Bibel, dem Koran und Mao Tsetungs „Kleinem roten Buch“.9Quelle: https://www.theguardian.com/uk/2007/apr/22/davidsmith.theobserver – abgerufen 5.2.2023

Die weltweite Verbreitung des Buches gab der, nun bald anwachsenden, Bewegung nochmal neuen Rückenwind. Wie es mit den Pfadfinder*innen in den Jahren ab 1910 weiter ging, lest ihr hier.


Heute

Die Bedeutung des Buches für die weltweite Bewegung steht wohl außer Frage. Allerdings dürfte es heute aus verschiedenen Gründen für neue Pfadfinder*innen (in Deutschland) keine besondere Rolle mehr spielen. Die Sprache ist nicht mehr unsere und insbesondere manches moralisches Ideal und die Ratschläge BiPis passen nicht mehr in die heutige Lebensrealität. Als historisches Dokument bleibt es aber lesenswert. Und auch um über Werte und die Pfadfinder-Idee im Wandel der Zeit zu diskutieren.
(Evtl. entwerfen wir euch dazu noch Material)

Als Quelle für das originale Pfadfindergesetz, die pfadfinderische Methode, Versprechen, Wahlspruch, usw. bleibt die „3. Erzählung am Lagerfeuer“ – auch wenn die wenigsten das Buch noch komplett lesen werden – aber die Grundlage unserer Bewegung.


Links:


Fußnoten

  • 1
    Hansen 2018, S 188
  • 2
    Jeal 2007, S. 453
  • 3
    Jeal 2007, S. 453
  • 4
    Jeal 2007, S. 457
  • 5
    Jeal 2007, S. 463
  • 6
    Jeal 2007, S. 457
  • 7
    Jeal 2007, S. 458
  • 8
    Hansen 2018, S. 189
  • 9
    Quelle: https://www.theguardian.com/uk/2007/apr/22/davidsmith.theobserver – abgerufen 5.2.2023
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Von metz

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