Westwärts über den Drakensberg
Gleich zu Beginn seines Kapitels müssen wir mal wieder Hansen kritisieren – ernsthaft, wie kann so etwas 2018 (offensichtlich unüberarbeitet aus den 1980ern) noch gedruckt werden? „Er kam von einem Land seiner Träume ins andere – von Indien nach Afrika“, steht hier zu Beginn der Abenteuergeschichten in Südafrika.1vgl. Hansen 2018, S. 103 Kein Wort über die politische Lage, keine Kritik am Kolonialismus, lediglich der „Traum“ eines weißen europäischen Mannes. Dazu kommt Afrika als Land zu framen, während es aus verschiedensten Kulturen und Ländern besteht – eine zusätzliche Herabwürdigung.
Tim Jeal zeichnet zumindest ein leicht anderes Bild der Ankunft in Natal: 1884 wurde das 13th Hussars Regiment nach Südafrika beordert, wo BiPi auf einen Krieg hoffte, um sich zu beweisen. Denn er konnte die höchsten militärischen Ränge nur erreichen, wenn er entweder an der Stabsakademie das Examen ablegte oder sich im „aktiven Dienst“ auszeichnete.2vgl. Jeal 2007, S. 152
In Hansens sehr friedlicher und fröhlicher Erzählung begleiten wir Baden-Powell bei seinem Kennenlernen von Sir Charles Warren, dem Oberkommandanten der britischen Truppen in Südafrika. Dieser berichtet ihm, dass er nach BiPis Buch „Nachrichtendienst und Kundschafterwesen“ auch in Südafrika Kundschafter/Pfadfinder ausgebildet werden. Er schickt BiPi anschließend auf den Drakensberg, wo er die Grenze zum Oranje-Freistaat und Transvaal kartografieren soll. Falls die britischen Truppen die Buren angreifen oder die eigenen Truppen in Betschuanaland (heutiges Botswana) unterstützen müssen, benötigt Sir Warren das Wissen über für Truppen passierbare Pässe.4vgl. Hansen 2018, S. 103 Die anschließende Beschreibung folgt BiPi auf eine einmonatige Expedition auf den Drakensberg und bis zu den Buren im Oranje-Freistaat, die ihn ebenso freundlich aufnehmen und offen von ihren Problemen sprechen, wie die Zulus, denen er begegnet und die ihn in ihr Heim einladen – und darauf bestehen, dass er einige Tage bleibt.5vgl. Hansen 2018, S. 107
Im Gegensatz zu obig beschriebener Hoffnung auf baldigen Krieg beschreibt Hansen ein Gespräch zwischen seinem Freund McLaren und BiPi folgendermaßen:
„Mich erschreckt und verstört der Gedanke, dass Großbritannien wieder Kriege führen könnte gegen die Buren und die Zulus. […] Wie unrecht tun ihnen die vielen Weißen, die auf die Eingeborenen verächtlich herabblicken, und damit die Voraussetzung schaffen, dass Schwarze gegen Weiße von irgendwelchen Demagogen aufgehetzt werden könnten.“
vgl. Hansen 2018, S. 108
Davon abgesehen, dass wir bereits wissen, dass Baden-Powell einen Krieg dringend braucht, um auf der Karriereleiter weiter nach oben zu klettern, und die Geschichte rund um die Beauftragung dieser Mission wohl eher ausgedacht war (es gab keinen Befehl hierzu), lässt sich in diesem Zitat wunderbar die europäische Haltung und das Bild auf die indigene Bevölkerung herauslesen. Folgende Lesart lässt sich interpretieren: „Die Weißen sind gekommen, um Frieden aufzubauen, aber die Einheimischen lassen sich von anderen beeinflussen anstatt die Weißen mit offenen Armen Willkommen zu heißen.“ Auch hier verliert Hansen kein Wort darüber, dass die Kolonialmächte, die Einwandernden, die Indigenen vertreiben, ihnen sämtliche Lebensbedingungen rauben und jegliches Recht absprechen.
An dieser Stelle möchten wir auf ein Kapitel der Querfeldein, des Mitgliedermagazins der DPSG verweisen, das sich genau mit dieser Thematik beschäftigt, hinweisen. Das Kapitel findet ihr auf Seite 12 der Ausgabe 04/2023.
Auf Heimaturlaub
Zwischen 1885 und 1887 befand sich BiPi wieder in England, wo sich die Geldsorgen der Familie verschärfen – Henrietta Grace lebte die Hälfte des Jahres nicht in ihrem (dann vermieteten) Haus, George wurde zwar als Abgeordneter ins Parlament gewählt, bekam dafür aber kein Gehalt. BiPi lehnte ein Angebot ab, mit Sir Warren in den Sudan zu gehen, da er glaubte mit seinem ehemaligen Colonel nach Aldershot berufen zu werden.6vgl. Jeal 2007, S. 157 f. Zwischenzeitlich besuchte er mit Baden zusammen 1886 die deutschen und russischen Manöver, wo neue Maschinenkanonen getestet wurden.7vgl. Jeal 2007, S. 159 f. Lord Wolseley, ein Oberbefehlshaber der britischen Armee (er war u.a. Gouverneur von Transvaal und Natal gewesen), besuchte ein Turnier, an dem BiPi mit ebensolchen Kanonen teilnahm. Baden-Powell hatte einen bleibenden Eindruck auf Wolseley hinterlassen.8vgl. Jeal 2007, S. 163 f.
Zurück in Südafrika und bei den Zulus
Doch durch familiäre Bande war BiPi bald wieder auf dem Weg nach Südafrika, wohin er seinen Onkel Henry Smyth begleitete. Dieser wurde Oberbefehlshaber der Kapkolonie.9vgl. Jeal 2007, S. 165 Hansen beschreibt diese Beförderung so, als hätten die Verwandtschaftsverhältnisse keinerlei Rolle gespielt, sondern nur BiPis Kenntnisse über die Zulus und den Drakensberg.10vgl. Hansen 2018, S. 110
Auch nachfolgend unterscheiden sich die Beschreibungen von Walter Hansen und Tim Jeal. BiPi wird bei Walter Hansen quasi am Tag nach der Ankunft in Südafrika direkt mit einem Einsatzkommando betraut, um einigen Landsleuten zu Hilfe zu kommen. Hierbei entsteht die Geschichte vom Tod des kleines Zulumädchens, die für BiPi den Anstoß gibt dafür zu kämpfen Erste Hilfe in die Ausbildung der Soldaten einzuführen. Zusätzlich lebte laut dieser Version das Zulumädchen bei den Engländern und war ins Kreuzfeuer geraten.11vgl. Hansen 2018, S. 110 f.
Im Gegensatz dazu beschreibt Tim Jeal, dass BiPi sich zunächst monatelang langweilte, ehe er gemeinsam mit General Smyth zur Niederschlagung eines Zuluaufstandes eilte, von der der Gouverneur von Natal per Telegram berichtet und um militärische Unterstützung gebeten hatte.12vgl. Jeal 2007, S. 169 In beiden Versionen werden die Briten von John Dunn, einem Schotten, der ca. 2.000 Zulus als „Häuptling“ befehligt. Nach Tim Jeal waren es ebenjene Truppen, die es nicht lassen konnten feindliche Krals abzubrennen und dabei eben auch das von Walter Hansen beschriebene Zulumädchen so schwer verwundeten, dass diese anschließend starb. Von einer weitergehenden Bemühung Erste Hilfe zu etablieren ist hier keine Rede.13vgl. Jeal 2007, S. 170
Während bei Walter Hansen die Suche nach dem Zulu-König Dinizulu wieder wie in einem Abenteuerroman beschrieben ist, kann man bei Tim Jeal eine eher nüchterne Beschreibung lesen. Hansen beschreibt ein verstecktes Felsplateau in den Drakensbergen, mit einem Talkessel, in dem sich Dinizulus Truppen zurückgezogen hatten. BiPi blufft hier heldenhaft gegenüber dieser Übermacht, was zur Befehlsverweigerung der Zulus und der Flucht von Dinizulu führt.14vgl. Hansen 2018, S. 118 f.
Währenddessen gibt Tim Jeal folgende Beschreibung wieder:
Die Moral der Gefolgschaft von Dinizulu war jedoch bereits kurz vor dem Kollaps, als er sich Anfang August in seine Festung im Busch des Ceza zurückzuog. […] Bevor Baden-Powell und seine Truppe von Inskilling-Dragonern sich der Festung näherten, um sie auszukundschaften, wusste er bereits, dass die meisten von Dinizulus Kriegern ins benachbarte Transvaal geflüchtet waren. Als er am Morgen des 12. August das Plateau erklomm, war er nicht überrascht, dass es verlassen war.
vgl. Jeal 2007, S. 171
Drei Monate später stellte sich Dinizul und wurde zu zehn Jahren Haft auf der Insel St. Helena verurteilt.
In diesem Zusammenhang könnten wir zusätzlich noch auf die Haltung von Lord Wolseley eingehen, der jegliche Brutalität gegen die Schwarze Bevölkerung guthieß, was wiederum Auswirkungen auf das Verhalten von BiPi hatte. Doch das würde hier leider den weiteren Rahmen sprengen. Interessierte können hierzu eine spannende Passage bei Tim Jeal auf den Seiten S. 171 – 175 nachlesen.
Ein Abstecher nach Swaziland
Durch eine Verkettung verschiedener Ereignisse lernte BiPi Sir Francis de Winton kennen, der ihn einlud einen Monat lang für ihn als Sekretär zu arbeiten. Swaziland war, wie die Länder drumherum, eingekeilt in den Konflikten zwischen Einheimischen, Buren und Briten. In dieser Zeit lernte BiPi Paul Krüger kennen, sowie die weiteren diplomatischen Schwierigkeiten rund um die verschiedenen Gruppierungen und Landesgrenzen.15vgl. Jeal 2007, S. 178 ff.
Nach dem Monat bei de Winton eröffnete General Smyth seinem Neffen, dass er eine Stelle in Malta angenommen hatte und BiPi mit ihm kommen sollte. Er stellte ihn vor die Entscheidung mitzukommen und weiterhin im Militär zu bleiben oder als Politiker oder Entdecker sein Glück zu versuchen, ohne Möglichkeit zurückzukehren. BiPi entschied sich schweren Herzens fürs Militär.16vgl. Jeal 2007, S. 180 Hierin zumindest sind sich beide Autoren einig.
Weiter ging es für BiPi also mit seinem Onkel nach Malta, wo er „als Geheimagent Ihrer Majestät“ beschäftigt war.
Grundsätzlich beschreibt Walter Hansen in den Kapiteln rund um Südafrika vieles, was später in der Pfadfinderei aufgeht. So beispielsweise die Holzklötzchen des Woodbadge, der Ingonyama – gonyama – Song der Zulus (der ihm dann von John Dunn erklärt wird) oder auch die Wegzeichen, durch die seine Patroullen auf der Suche nach Dinizulu Infos für die nachfolgenden Gruppen hinterlassen.17vgl. Hansen 2018, S. 112 ff. Bis auf das Woodbadge sind die beiden anderen Geschichten sehr bildhaft beschriebene Abenteuergeschichten, deren Wahrheitsgehalt sich aus unserer Sicht so nicht nachvollziehen lässt.
Klicktipps:
Zum Burenkrieg haben wir hier noch einige Infos für euch gesammelt: Hintergrund: der Burenkrieg.
Fußnoten
- 1vgl. Hansen 2018, S. 103
- 2vgl. Jeal 2007, S. 152
- 3vgl. Cunynghame, Arthur Augustus Thurlow – Sir, G.C.B.: My Command in South Africa. 1874-78. Comprising experiences of travel in the colonies of South Africa and the independent states … With maps
- 4vgl. Hansen 2018, S. 103
- 5vgl. Hansen 2018, S. 107
- 6vgl. Jeal 2007, S. 157 f.
- 7vgl. Jeal 2007, S. 159 f.
- 8vgl. Jeal 2007, S. 163 f.
- 9vgl. Jeal 2007, S. 165
- 10vgl. Hansen 2018, S. 110
- 11vgl. Hansen 2018, S. 110 f.
- 12vgl. Jeal 2007, S. 169
- 13vgl. Jeal 2007, S. 170
- 14vgl. Hansen 2018, S. 118 f.
- 15vgl. Jeal 2007, S. 178 ff.
- 16vgl. Jeal 2007, S. 180
- 17vgl. Hansen 2018, S. 112 ff.
- 18gemeinfrei, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Caesar_Carl_Hans_Henkel02.jpg?uselang=de#Lizenz