Bereits 1900 stand BiPi im Kontakt mit Gruppe von Chorknaben, die ihn baten die Schirmherrschaft über ihren Nichtraucher-Verein zu übernehmen. In seiner Antwort ermutigte er sie, jeden Tag etwas Gutes zu tun. Im späteren Verlauf wird in der Kirche der Chorknaben die sog. „Baden-Powell Liga zur Förderung von Gesundheit und Mannbarkeit“ gegründet. BiPi konnte hier direkt sehen, wie sich sein Name gewinnbringend vermarkten lies. Bereits 1901 gab es bereits drei Institutionen, die seinen Namen verwendeten.1vgl. Jeal 2007, S. 425 f.

1902 wurde er vom Kultusminister von Johannesburg eingeladen einen Vortrag zu halten – aufgrund seines Rufes sich für die Förderung, das Wohlergehen und die Entwicklung von Jungen einzusetzen. Er hielt tatsächlich bei vielen größeren Lehrerkonferenzen Ansprachen. Die Rede in Johannesburg bezog sich auf die Förderung der Entwicklungsgabe bei Jungen und hinterließ eher den Eindruck, dass BiPi an der Entwicklung von jungen Menschen zu guten Bürgern interessiert war – nicht etwa mit Fokus sie zu guten Soldaten zu machen.2vgl. Jeal 2007, S. 427 f.


„Körperlicher Verfall“

BiPi reiste als Generalinspekteur durch ganz England, wo er in seinem Bild bestätigt wurde, dass v.a. die Menschen aus der städtischen Arbeiterklasse im allgemeinen kleiner, dünner und kränklicher waren als die Menschen aus der Mitte- und Oberschicht. Grundsätzlich kam er zu dem Schluss, dass das Leben der Bevölkerung in den Städten ungesünder war.3vgl. Jeal 2007, S. 417 f. Dies führte auch dazu, dass Baden-Powell, vor dem Hintergrund seiner generellen Angst vor körperlichem Verfall und „moralischer Entartung“, die Wichtigkeit von gesunder Ernährung und körperlicher Fitness über alles in der Erziehung junger Menschen stellte. Übrigens schlägt er hier absolut in die gleiche Kerbe wie Theodore Roosevelt (den BiPi später persönlich trifft) und Cecil Rhodes, die beide „Abenteuer in entlegenem und gefährlichem Gelände, um die Rasse bei Gesundheit zu halten“ empfahlen.4vgl. Jeal 2007, S. 419 f.


Die Boys Brigade

Im britischen Militär machte man sich Sorgen über den Mangel an Offizieren in der Armee. Organisationen wie die Boys Brigade oder die Church Lads‘ Brigade förderten zwar paramilitärische Ausbildung, Vaterlandsliebe und körperliche Ertüchtigung, aber aus militärischer Sicht waren die Mitgliederzahlen zu gering. BiPi wurde nach einem Abendessen mit dem Gründer der Boys Brigade zu deren Ehren-Vizepräsident und schloss eine Inspektion der örtlichen Boys Bridgade Gruppierungen in seine offiziellen Aufgaben als Generalinspekteur ein. Bereits 1904 unterhielten sich die beiden über die Möglichkeit die Boys Brigade noch anziehender für Jungen zu machen, wenn diese beispielsweise das Kundschafterwesen einbeziehen würden, da dies bei den Rekruten in der Armee so beliebt gewesen sei.

„Er [William Smith, Gründer der Boys Brigade, Anm. d. Red.] fragte mich, ob ich nicht das Kundschafterbuch der Armee umschreiben wolle, um es für Jungen ansprechender zu machen.“

vgl. Jeal 2007, S. 422, nach BiPis Notizen in Tagebuchform, 30. April 1904

In seiner ersten Erwähnung des Kundschafter-„Trainings“ für Jungen erwähnte BiPi bemerkenswerterweise erst mal keinerlei militärische Zielrichtung, sondern setzte den Fokus auf die Beobachtungsgabe, die Erfüllung der Bürgerpflichten und die Entwicklung eines guten Charakters.5vgl. Jeal 2007, S. 422 f. Auch in späteren Reden bei der Boys Brigade, z.B. 1905 in Cardiff, sprach er sich dafür aus, dass das Kundschaften die Jungen zu besseren Bürgern machen würde.

„Mit ‚gute Bürger‘ meine ich nicht, dass sie lediglich gegen Soldaten kämpfen sollen.“

vgl. Jeal 2007, S. 434

Der Name „Boy Scouts“

Im Februar 1900 erschien in der Zeitschrift „True Blue War Library“ eine Serie mit Geschichten über einen jungen Kavallerieoffizier, der jung genug war, um den Spitznamen „Boy Scout“ zu tragen. Bis 1904 lief erschien diese Serie mit Geschichten, deren Titel beispielsweise „Der Boy Scout und der unsichtbare Bure“ oder „Der Boy Scout tritt B-Ps Polizei bei“ waren, welche in der South African Constabulary spielten. Sie wurden für viele Jungen zum Sinnbild für den patriotischen Dienst in fremden Ländern.
BiPi suchte durchaus nach Alternativen für den Namen seines Programms, doch sein Herausgeber, Arthur Pearson, lehnte 1907 andere Vorschläge ab, da er nicht glaubte, dass er etwas besser finden würde als „Boy Scouts“.6vgl. Jeal 2007, S. 430

Die beiden Bilder sind der Website Anglo Boer War entnommen.


Weitere Inspirationen

BiPi war am Anfang der 1900er Jahre nach wie vor Generalinspekteur der Armee und reiste aufgrund dessen viel durch England und das Empire. Dies bedeutete auch, dass er nach wie vor die unterschiedlichsten Menschen traf und somit auch den verschiedensten Einflüssen ausgesetzt war.

Jeal beschreibt zwei Einflüsse als besonders prägend: das Zusammentreffen mit R.B. Haldane, der der neue Kriegsminister war7vgl. Jeal 2007, S. 435, ebenso wie ein Treffen mit Roger Pocock, einem ehemaligen berittenen Polizisten aus Nordwest-Kanada, der nun als Schriftsteller und Journalist arbeitete.

Letzterer war von (Buffalo) Bill Codys fahrender Wildwest-Show fasziniert (fleißigen Lucky Luke Leser*innen wird diese Show bekannt vorkommen) und wollte daher eine eigene Truppe auf die Beine stellen. Diese Truppe der „Imperial Legion of Frontiersmen“ hatte im Auftreten bereits eine große Ähnlichkeit zu den späteren Pfadfinder*innen mit ihren Uniformen. BiPi baut auf diesen im späteren Verlauf auch Vorbilder für die Jungen auf und nennt diese „Grenzsoldaten“ auch „Kundschafter des Friedens“: Trapper in Nordamerika, Jäger in Zentralafrika, Buschmänner und Viehtreiber in Australien. Die Mitglieder der „Frontiersmen“ waren im vorherigen Leben genau das gewesen. Baden-Powell hatte mit Pocock vielleicht sogar über die Gründung der Pfadfinder gesprochen, zumindest aber der Einfluss ist sichtbar.8vgl. Jeal 2007, S. 437 f.

Auf Haldane traf BiPi am 01.05.1906, später im Mai aßen beide nochmals gemeinsam zu Abend. Haldane wollte als Kriegsminister die Ausgaben der Armee reduzieren. Er war außerdem begeistert von Baden-Powells Idee das Kundschaftertum als charakterbildende Maßnahme für die Jungen der Nation zu nutzen. Zudem lieferte Haldane unserem BiPi im optimalen Augenblick die Billigung seiner Idee, sodass er daran glaube konnte, dass auch die Öffentlichkeit seine Vision und das Vorgehen billigen würde.9vgl. Jeal 2007, S. 435 f.

Im Anschluss an die Treffen mit Haldane 1906 schrieb Baden-Powell einen Bericht über die Pfadfinderei mit dem Titel „Scouting for Boys“ und schickte ihn an William Smith (dem Gründer der Boys Brigade) und sechs weitere bedeutende Persönlichkeiten. Dieser Bericht beinhaltete an nur einer Stelle die Betonung von Patriotismus und Aufopferung fürs Vaterland, der Fokus hatte sich inzwischen auf Themen wie Himmelsrichtungen anhand der Gestirne feststellen können, Fährten lesen, Feuer machen und Kochen, Erste Hilfe leisten können usw. verschoben. Ebenso schlug BiPi bereits verschiedenste Spiele oder auch Prüfungen vor.10vgl. Jeal 2007, S. 437


Es wird ernst!

Im Juni 1906 wurde BiPis Artikel, den er an William Smith schickte, in einer überarbeiteten Version in The Boys‘ Brigade Gazette veröffentlicht, bekam allerdings keine sonderlich große Aufmerksamkeit. Zur gleichen Zeit verbrachte Baden-Powell einige Zeit bei Arthur Pearson, der den Daily Express und Evening Standard besaß. Er wollte sich mit Pearson über seine Idee austauschen, „ein Programm mit einem dazugehörigen Handbuch auszuarbeiten…“, und wer würde sich besser als Geldgeber für ein solches Projekt eignen als ein Millionär, der gerne auch soziale Projekte förderte?11vgl. Jeal 2007, S. 439 f.

Zur gleichen Zeit bekam BiPi Post von Ernest Thompson Seton, der im weiteren Verlauf der Pfadfindergeschichte noch eine Rolle spielen wird. Dieser Mann trug nicht nur im positiven Sinne zur Bewegung bei, sondern stiftete auch Unfrieden. Seton hatte Baden-Powell ein Buch mit dem Titel The Birch-bark Roll of the Wodcraft Indians geschickt, welches ein Programm für Jugendliche zwischen 8 und 15 Jahren darlegte.

„‚Woodcraft‘ ist unsere Hauptbeschäftigung“, schrieb Seton, „und damit meinen wir die Beobachtung der Natur, bestimmte Formen der Jagd sowie die Kunst des Zeltens.“

Jeal 2007, S. 440

Die Aktivitäten, die Seton beschrieb, waren bereit deutlich weiter ausgereift und beschrieben als das, was BiPi bisher erarbeitet hatte. Ihm imponierte dies, ebenso die Bedeutung der Naturverbundenheit, wenngleich sich sein eigenes Programm nicht allein darauf fokussieren sollte. Ein Briefwechsel entstand und beide Männer trafen sich. Seton hatte BiPi sein Buch natürlich nicht einfach so geschickt, er hoffte vielmehr auf Unterstützung seine Woodcraft-Bewegung in England populär zu machen.

Ihr ahnt es sicherlich bereits: Seton warf Baden-Powell später vor sich an seinen Ideen bedient zu haben. Beispielsweise sah das Woodcraft-Konzept eine Verleihung von Abzeichen für Verdienste außerhalb von Wettbewerben vor, welche BiPi so durchaus übernahm. Auch das Thema Sippen- bzw. Gruppentiere, welches auch heute noch angewandt wird, ist Setons Arbeit entnommen.12vgl. Jeal 2007, S. 440 ff. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass die beiden Konzepte sehr große Ähnlichkeit haben und hier zwei kluge Männer auf ähnliche Ideen gekommen sind. Vielleicht weil das genau das ist, wonach die Zeit verlangte.

BiPi hielt später sogar schriftlich in einer Ausgabe von The Scout fest, wie viel er „dem großartigen Woodcraft-Fachmann für seine wertvolle Hilfe schulde.“ Seton jedoch beschuldigte Baden-Powell jedoch weiterhin, Ideen gestohlen zu haben und eine Abmachung gebrochen zu haben, in der er Seton helfen würde die Woodcraft Indians bekannt zu machen und als sein Assistent zu arbeiten. Dies ist aus heutiger Sicht nicht nachweisbar, eher deuten alle Hinweise darauf, dass BiPi von Anfang an seine eigenen Pläne verwirklichen wollte.13vgl. Jeal 2007, S. 442

„Seine Aussage, dass wir gemeinsam die Pfadfinder 1908 in England und 1910 in Amerika gegründet hätte, ist mir neu! Trotzdem bin ich stolz, dass ich damit in Verbindung gebracht worden bin…“

Jeal 2007, S. 442

Der große Vorteil der Pfadfinderei an dieser Stelle war die Offenheit in verschiedenste Bereiche. Nicht nur die naturverbundene Arbeit, sondern alle Themen die Jungen interessieren könnten: vom edlen Ritter bis hin zur Spionage.14vgl. Jeal 2007, S. 443

Bis Ende 1906 schaffte es BiPi nicht mehr als einen Rohentwurf seines Handbuches zu schreiben.15vgl. Jeal 2007, S. 446 Nachdem seine Amtszeit als Generalinspekteur im Mai 1907 ausgelaufen war, traf er einen Börsenmakler, Charles van Raalte, dem das heute bekannte Brownsea Island gehörte, wo BiPi später im Jahr sein erstes Lager veranstaltete. Im Juni schrieb er, auch auf Drängen von Arthur Pearson, den ersten Entwurf seines Handbuches Scouting for Boys fertig.16vgl. Jeal 2007, S. 448


Von Baden-Powells ersten Ideen einer Erziehungsmethode, die sich in jeder Jugendgruppe anwenden lassen könnte, hin zur Gründung einer eigenen Jugendbewegung war ein sehr langer und Jahre andauernder Prozess. Das zeigt außerdem auch ein völlig anderes Bild von der Ideenfindung, den Inspirationen und zeitgeistlichen sowie personenbezogenen Einflüssen, als wir es aus Der Wolf der nie schläft kennen. Das ist auch der Grund, weshalb ihr im gesamten Artikel bis jetzt keinen Verweis darauf bekommt. In unserem Abenteuerroman beschreibt Walter Hansen nämlich ein Zusammentreffen von Baden und BiPi in Mafeking, wo sie sich über den Erfolg von Aids to Scouting unterhalten, welches in England von den Jugendlichen als Anleitung genutzt wird, um selbstständig in der Natur unterwegs zu sein, sich zurecht zu finden und Abenteuer zu erleben. Ein Selbstläufer sozusagen.17vgl. Hansen 2018, S. 163 ff. Doch ganz so einfach, wie in der Konversation der beiden Brüder dargestellt, war es in Wirklichkeit offensichtlich nicht. Im Buch werden schnell die Pfadfindergesetze geschrieben, ein Konzept auf die Beine gestellt, das Versprechen, ein Logo, ein Wahlspruch etc. und das alles, bevor er Mafeking verließ.18vgl. Hansen 2018, S. 171 ff. Vieles dieser Dinge werden jedoch erst im Laufe der Zeit verschriftlicht.


1907 fand das erste Lager der Pfadfinder auf Brownsea Island statt. Hier geht es zu unserem Beitrag darüber!


Fußnoten

  • 1
    vgl. Jeal 2007, S. 425 f.
  • 2
    vgl. Jeal 2007, S. 427 f.
  • 3
    vgl. Jeal 2007, S. 417 f.
  • 4
    vgl. Jeal 2007, S. 419 f.
  • 5
    vgl. Jeal 2007, S. 422 f.
  • 6
    vgl. Jeal 2007, S. 430
  • 7
    vgl. Jeal 2007, S. 435
  • 8
    vgl. Jeal 2007, S. 437 f.
  • 9
    vgl. Jeal 2007, S. 435 f.
  • 10
    vgl. Jeal 2007, S. 437
  • 11
    vgl. Jeal 2007, S. 439 f.
  • 12
    vgl. Jeal 2007, S. 440 ff.
  • 13
    vgl. Jeal 2007, S. 442
  • 14
    vgl. Jeal 2007, S. 443
  • 15
    vgl. Jeal 2007, S. 446
  • 16
    vgl. Jeal 2007, S. 448
  • 17
    vgl. Hansen 2018, S. 163 ff.
  • 18
    vgl. Hansen 2018, S. 171 ff.
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Von lena

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